Lächeln, bis der Zahnarzt kommt

Das Kichern hinter vorgehaltener Hand

Lächeln, bis der Zahnarzt kommt

Vom Land des Lächelns sollte man meinen, dass seine Bewohner besonderen Wert auf schöne und gesunde Zähne legen. Schaut man sich in einem durchschnittlichen japanischen Mund um, besteht jedoch wenig Anlass zur Freude. Dort wird sichtbar, dass ernst gemeinte Zahnpflege und regelmäßige Konsultationen beim Zahnarzt wohl nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen der Japaner zählen. Und auch kreuz wie quer wachsende Zähne scheinen niemanden zu stören. Da drängt sich die Frage auf, warum im reichen und fortschrittlichen Japan so wenig Zeit und Geld in Zähne investiert wird.

In vielen Lebensbereichen eifert Japan gerne seinen westlichen Vorbildern nach. Vor allem Amerika ist oft das Maß der Dinge. Hollywoodstars wie Tom Cruise oder Julia Roberts lassen mit ihren ordentlich aufgereihten, schneeweißen Zähnen jedes Foto überbelichtet erscheinen. So eine Grundsanierung ist unter hunderttausend Doller kaum zu haben. Aber nicht nur die Prominenz investiert viel Geld in ein perfektes, karriereentscheidendes Lächeln. Selbst der kleine Amerikaner zieht bei einem Vorstellungsgespräch den Kürzeren, wenn die Konkurrenz den besseren Zahnarzt hat. In unseren Breiten ist man noch nicht völlig dem Zahnsinn verfallen. Denn obwohl auch bei uns schöne Zähne zum perfekten Aussehen dazugehören und schon fast jeder Mund im zarten Kindesalter verdrahtet wird, beschränken sich Investitionen in Zähne und Gebiss oft doch nur auf das, was die Kasse zahlt. Grundsätzlich sind in den USA wie auch in Deutschland eine gute Gesundheitsaufklärung und ein breites, fortschrittliches Sortiment an Zahnhygieneprodukten die Basis für gesunde und schöne Zähne. Ganz anders sieht es dagegen in Japan aus. Einfachste Grundsätze wie Morgens, mittags und abends am besten gleich nach dem Essen, müssen für viele Japaner wie eine fernöstliche Weisheit für uns klingen.

Dass unter Japanern schon die klassische Kombination aus Zahnbürste und Zahnpasta nicht besonders populär ist, spiegelt sich auch in der Werbelandschaft wieder. Nur wenige Konsumhinweise für die effektivsten der Zahnpflegeutensilien flimmern über die Bildschirme. Es überwiegen deutlich Spots, die den viel bequemeren und zeitsparenderen Gebrauch von Mundspülungen empfehlen. Deren Benutzung passt zwar auch sehr viel besser in den hektischen und arbeitsintensiven Tagesablauf des Japaners, trotzdem ist die Zurückhaltung der starken einheimischen Kosmetik- und Pharmaindustrie bei der Einführung und Vermarktung von Zahnpflegeprodukten verwunderlich. Für Konzerne wie Shiseido oder Kanebo wäre es ein Einfaches, im Bereich der Zahnpflege durch mehr Werbung eine stärkere Nachfrage zu schaffen. In keinem anderen Land geben Frauen mehr Geld für Kosmetik aus als in Japan. Und dass sich gerade Japanerinnen unterschwellig schönere Zähne wünschen, beweist das berühmte japanische Kichern mit vorgehaltener Hand. Dies ist nämlich keineswegs ein Zeichen japanischer Zurückhaltung, sondern vielmehr ein Schamreflex, um seinem Gegenüber den Anblick schlechter Zähne zu ersparen.

Die Begriffe gerade Zähne und schöne Zähne sind in Japan nicht synonym. Zahnspangen kommen meist nur in medizinisch unbedingt notwendigen Fällen zum Einsatz. Denn diese müssen nicht nur aus eigener Tasche bezahlt werden, sie gelten darüber hinaus noch als extrem unmodisch. Die Folgen sind unübersehbar: die Zähne der Japaner tummeln sich häufig vollkommen unkontrolliert im Mund und finden sich zu den skurrilsten Zahnstellungen zusammen. Während bei uns schiefe Zähne zu einer unglücklichen Kindheit führen können, sind in Japan auch die auffälligsten Zahnstellungen kein Grund, sich zu schämen. Ganz im Gegenteil: Eckzähne, die über den Schneidezähnen herauswachsen, sogenannte Yaeba, gelten zum Beispiel als ausgesprochen kawaii! Dieses eigenwillige Schönheitsideal macht die Zahnpflege leider nicht einfacher und führt mit zunehmenden Alter oft zu weniger attraktiven Folgeschäden.

Der kawaii-Effekt erklärt, warum in Japan Zahnfehlstellungen nicht unbedingt durch kieferorthopädische Maßnahmen korrigiert werden wollen. Extreme Arbeitszeiten und ein Eigenbeteiligungsanteil an medizinischen Leistungen von bis zu 30 Prozent erklären die Zurückhaltung bei Arztbesuchen ganz allgemein. Von den Versicherungen gesetzte Anreize, die zu regelmäßigen zahnärztlichen Prophylaxeuntersuchungen animieren könnten, gibt es nicht. So rennt man in Japan erst zum Zahnarzt, wenn es richtig weh tut. Und dabei sind Besuche bei japanischen Zahnärzten ausgesprochen unangenehm. Oft gibt es lediglich Massenbehandlungszimmer in denen die Nachbarpatienten die eigenen Bohrungen schadenfreudig miterleben dürfen. Hinzu kommt, dass Zahnärzte von den Versicherungen auch pro Patientenbesuch und nicht nur nach Art und Aufwand der Behandlung bezahlt werden. Da liegt dem Zahnarzt verständlicher Weise viel daran, die Behandlung seiner Patienten auf möglichst viele Termine zu strecken.

Aufgrund ihrer traditionell sehr gesunden Ernährungsweise – Reis, Fisch und wenig Zucker -gehören die Japaner zu den gesündesten Völkern der Erde mit der höchsten Lebenserwartung. Was für den Rest des Körpers gesund ist, hat für Zähne und Gebiss, in Kombination mit der Einführung westlicher Ernährungskultur, fatale Folgen. Viel zu kauen gibt es bei den weichen und essstäbchengerecht zubereiteten Gerichten Sushi, Sashimi und Soba nicht. Der knackige Biss in den Apfel ist in Japan als Methode der Nahrungsaufnahme nahezu gänzlich unbekannt. Das führte im Laufe der Evolution zu einer grundsätzlich anfälligeren Ausbildung von Zähnen und Gebiss. Nach dem 2. Weltkrieg schwappte schnell eine Welle an schlechten Ernährungsgewohnheiten über den Pazifik nach Japan herüber. Dieser waren die Zähne der Japaner wehrlos ausgesetzt: Fastfood, Coke und Schokoriegel zeigten schnell ihre Wirkung.

Ganz hoffnungslos steht es aber nicht um die Zahnkultur Japans. Seit Mitte der 90er Jahre setzt sich verstärkt ein neues Bewusstsein für die eigenen Zähne durch. Vor allem in den Kindergärten und Schulen wird versucht, den Kindern schon von klein an richtiges Zähneputzen anzutrainieren. Der 4. Juni ist offiziell zum Karies-Vorbeuge-Tag erklärt worden (Die Wahl fiel auf eben diesen Tag, da die Zahl 6 auch mu und 4 als shi ausgesprochen werden kann. Mushiba bedeutet soviel wie Karies oder schlechter Zahn). In Schulen sowie Firmen werden an diesem Tag kostenlose zahnärztliche Untersuchungen durchgeführt. Sogar in manchen Kaufhäusern wird dieser Service angeboten. Und die lokalen Behörden vergeben am 4. Juni Auszeichnungen an die Kinder mit den besten Zähnen. In den letzten Jahren gab es auch zaghafte Versuche, mit bunteren Zahncremes und vielfältigeren Zahnbürsten die Bevölkerung zum Zähneputzen zu animieren. Aber noch findet man in den sonst mit ausgefallensten Elektronik-Gimmicks ausgestatteten Haushalten der Japaner selten Geräte wie elektrische Zahnbürsten oder Mundduschen. Vielleicht ist das aber nur noch eine Frage der Zeit. Denn das Land des Lächelns hat in seiner Geschichte schon oft bewiesen, wie schnell es fähig ist, westliche Standards zu erreichen und sogar zu übertreffen.

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1 Kommentar

  1. Richard
    März 24, 2020 bei 1:55 pm

    Lächeln bedeutet immer in allen Ländern der Welt etwas positives, weil es die Freunde und gesunde Zähne auszeichnet. Ich wusste nicht, dass in Japan die Zurückhaltung so wichtig ist. Danke für die interessante Fakten über Zahnstellungen in Japan!

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