Im elterlichen Wohnzimmer ist der Teufel los: Mit aller Kraft prügelt Akiko mit zwei dicken Holzstöcken auf die Sofakissen ein. Vor kurzem ist sie nämlich in den Taiko-Club ihrer Mittelschule eingetreten, und mit den Sofakissen kann man gut das Taiko-Spielen üben. Obwohl Akikos Eltern nicht glücklich über den aufgewirbelten Staub in ihrer Wohnung sind, ist er für sie das kleinere Übel: Der Sound einer echten Taiko würde nämlich das ganze Haus zum Beben bringen.
Und im Übrigen möchten Akikos Eltern nicht auf ihren nächsten Urlaub verzichten. Denn den könnten sie sich nach der Anschaffung einer mittelgroßen Taiko nicht mehr leisten. Für ein traditionell handgefertigtes Einstiegsmodell muss man um die 2000 Euro auf den Tisch legen. Mit Größe und Qualität der Taiko steigt auch schnell der Preis. Eine O-Daiko, die bis zu 3-Meter hoch und dabei 4 Tonnen schwer sein können, kann sogar bis zu 500.000 Euro kosten.
Die Herstellung einer Taiko ist aufwendig. Nur besonders schwere und harte Hölzer, wie sie zum Beispiel der japanische Keyaki oder die amerikanische Esche liefern, eignen sich für ihren Bau. Da Taikos traditionell aus einem einzelnen schön gemaserten Holzklotz geschnitzt werden, braucht man zum Beispiel für eine große O-daiko Bäume, die mindestens 200 Jahre alt sind. Nach dem Fällen muß das Holz bis zu zehn Jahre getrocknet werden, bevor es bearbeitet werden kann. Sind die fertigen Trommelbäuche dann mit gegerbtem Leder bespannt und lackiert, geht es ans Verzieren und Bemalen. Erst dann ist die Taiko wirklich fertig und spielbar.
Bereits vor 1.400 Jahren und vermutlich sogar noch früher wurden Taikos in kriegerischen Auseinandersetzungen und in Friedenszeiten als Kommunikationsmittel eingesetzt. Auf dem Schlachtfeld wurde sie benutzt, um die Kampfhandlungen zu koordinieren und dem Feind Angst einzujagen. Außerdem signalisierten die Taikos herannahende Taifune oder vertrieben böse Geister. Ihr Klang war so durchdringend, dass sogar die Dorfgrenzen mit ihrer Hilfe abgesteckt wurden: Wo man den Taiko-Schlag nicht mehr hören konnte, war auch das Dorf zu Ende. Da Taikos im täglichen Leben so wichtig waren, glaubte man bald, dass die Trommeln von Göttern bewohnt wurden. Als sich shintoistischer und buddhistischer Glauben im 6. Jahrhundert n. Chr. rituell verfestigten, entschieden die Priester darüber, welche Männer die Taikos bei religiösen Zeremonien spielen durften. Später wurden die Trommeln ein wesentlicher Bestandteil von Theateraufführungen. Im Kabuki werden auch heute noch Auftritt und Abgang der Darsteller oder Tanzeinlagen von Taiko-Rhythmen begleitet.
Unter allen traditionellen japanischen Instrumenten ist die Taiko heute wohl am populärsten und auch über die Landesgrenzen hinaus am bekanntesten. Über 4000 Laien- und Profigruppen, so genannte Kumi-daiko, gibt es mittlerweile in Japan. Aber auch im Ausland nimmt die Taiko-Begeisterung zu. Vor allem in den USA, wo bereits knapp 150 Taiko-Gruppen existieren. Dass mehrere Taikos in einer Art Ensemble zusammen gespielt werden, kam erst nach dem 2. Weltkrieg auf. Als Begründer der Kumi-daiko gilt der Jazz-Musiker OGUCHI Daihachi, der zum ersten Mal in den 50er Jahren Taikos unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Tonlage zusammenstellte, mit langsamen und schnellen Rhythmen experimentierte und so mit der jahrhundertealten Taiko-Tradition brach.
Obwohl das Trommeln Schwerstarbeit ist, finden auch immer mehr Frauen Spaß am Taiko-Spielen und setzen sich so gegen die Tradition durch. Vielleicht haben Frauen ja sogar das bessere Rhythmusgefühl. Das glaubt man zumindest, wenn man die Newcomer-Gruppe GOCOO live erlebt. GOCOO wurde von einer Frau gegründet, und acht der zwölf Trommler sind Frauen. Doch nicht nur die zahlenmäßige Überlegenheit der Künstlerinnen hebt GOCOO von den weltbekannten Taiko-Gruppen KODO oder WADAIKO YAMATO ab. Auffallend ist auch die Mischung aus traditionellen und modernen, östlichen und westlichen Beats, die in den Bauch fahren und förmlich zum Tanzen zwingen. Ansteckend ist die enorme Energie und Ausgelassenheit der Künstler, angeführt durch Lead-Drummerin Kaoly Asano, die ihre Gruppe zu immer schnelleren Rhythmen antreibt. Auf der Suche nach neuen Ideen arbeitet GOCOO außerdem regelmäßig mit Künstlern aus dem Ausland zusammen, was ihre Musik von anderen Taiko-Gruppen weiter abhebt. So wird der Beat der Taikos nicht nur durch Bambushölzer, Gongs und Zimbeln, sondern zum Beispiel auch durch australische Digeridoos mal geheimnisvoll mystisch, mal kraftvoll spritzig ergänzt. Die Gruppe selbst beschreibt ihren Stil als Techno-Taiko und tritt auch immer wieder bei Techno-Veranstaltungen auf. Kein Wunder, dass sich auch die Raver Tokyos von GOCOO’s trance-ähnlichen Rhythmen berauschen lassen. Entsprechend ihrem eigenwilligen Stil tritt GOCOO übrigens auch nicht mehr in traditionellem Outfit auf.
Von Ruhm und Erfolg der großen Vorbilder träumt Akiko noch nicht, als sie für heute erschöpft, aber zufrieden die Arme sinken lässt. Morgen wird sie im Musiksaal ihrer Schule die Holzstöcke gegen Bachis und die Kissen gegen eine echte Taiko eintauschen. Das nächste Konzert ist für das Herbstfeuerwerk ihrer Heimatstadt geplant. Und bis dahin wird sie noch viel üben und Staub schlucken müssen.
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