Bei den Begriffen Manga und Anime denkt man im Allgemeinen an Japan, Comic, niedlich gezeichnete Menschen mit riesigen Augen, Kinderserien auf RTL2, bei denen sämtliche Protagonisten eine gewisse Ähnlichkeit mit Heidi aus den Bergen aufweisen, Akira, Captain Future und vielleicht noch an „schmutzige“ Heftchen mit nur spärlich bekleideten Schulmädchen.
Wann aber entstand der Manga und was eigentlich versteht man nun unter diesem Begriff? Tatsächlich entstanden die ersten Manga im heutigen Sinne bereits in der Meiji-Zeit (1867-1911), besonders aufgrund von politischen Karikaturen, die im 19. Jahrhundert ihre Blütezeit hatten. Vor allem Zeitschriften, die für in Yokohama ansässige Europäer erschienen, brachten neue Impulse, die nicht als Importprodukte abgelehnt wurden, sondern in die japanische Kultur einflossen und sich mit der Tradition u.a. aus chôjû giga vermischten Der erste japanische Comicstrip von HONDA Kinkichirô erschien im Jahre 1881 in der Zeitschrift Kibidango. Nach dem 2. Weltkrieg setzte dann eine Art Manga-Boom ein, der vor allem dadurch zu erklären ist, dass der japanische Comic schon früh durch begabte Zeichner wie TEZUKA Osamu eine formale und inhaltliche Aufwertung erlebte.
TEZUKA Osamu (1928-1989), der schon zu Lebzeiten eine Legende war, gilt als Begründer der Story-Manga, der heute populärsten Form der Manga in Japan. Außerdem ist ihm die Schaffung eines völlig neuen Genres auf dem Manga-Markt und somit die Erschließung einer neuen Zielgruppe zu verdanken: Die Serie Ribon no kishi (Der Schleifen-Ritter), in der die Abenteuer einer jungen Prinzessin geschildert werden, die als Ritter verkleidet durch die Lande streift und ihren Anspruch auf die Thronfolge verteidigt, sprach zum ersten Mal auch junge Mädchen an. Allgemein waren die ersten Manga-Serien speziell auf jüngeres Publikum ausgelegt. Die Helden waren gut und unfehlbar und kämpften gegen böse Widersacher bzw. das vorherrschende gesellschaftliche System. Spätere Serien gegen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre richteten sich auch an Erwachsene. Diese Mangas waren nicht mehr einfach in Gut und Böse unterteilt. Die Helden zweifelten an der Richtigkeit ihres Tuns, wurden von Selbstzweifeln geplagt oder wirkten gefühlskalt. Der eigentliche Begriff Manga setzt sich aus dem japanischen man (=“spontan, ziellos“) und ga (=“Bild, Zeichnung“) zusammen. Heute bezeichnet Manga in erster Linie Story-Manga, also Comics, die literarischen Erzählmustern folgen und eine Länge von 16, 32 oder über 64 Seiten umfassen. Sie erscheinen oft über Jahre hinweg als Serie in Zeitschriften und anschließend in vielbändigen Buchausgaben.
Typisch für den japanischen Manga-Markt ist der Umstand, dass nahezu jede Bevölkerungsgruppe eine eigene auf ihre individuellen Interessen und Bedürfnisse zugeschnittene Manga-Untergruppe hat. Manga für Jungen und – etwas verzögert – auch Manga für Mädchen (Shôjo-Manga) bildeten sich als zwei eigenständige Gattungen heraus. Mitte der 80er Jahre erschien der sog. Lady´s Comic, mit dem Frauen ab Mitte 20 als eine der letzten Gruppen nun ebenfalls ihre eigene Manga-Gattung bekamen. Inzwischen gibt es sogar sogenannte „Silver Manga“ für im Dienst der Firma ergraute Pensionäre, die das „zweite Leben“ nach Beendigung der Arbeit thematisieren. Möglicherweise ist diese Einteilung in verschiedene Sparten der Grund dafür, dass die Akzeptanz der Manga in verschiedenen Bevölkerungsgruppen so groß ist. Ein weiteres Charakteristikum ist die Schnellebigkeit und Aggressivität des Manga-Marktes, die daher rührt, dass eine Serie bei fallendem Beliebtheitsgrad sehr schnell innerhalb eines Bandes nach hinten wandert, wo sie weniger gelesen wird und schließlich ganz abgesetzt wird. Der Beliebtheitsgrad einer Serie wird über Fragebögen ermittelt, die den Heften oft beiliegen und welche die Leser ausfüllen und an die Verlage zurückschicken.
Neben dem Verkauf von gedruckten Mangas boomt auch das Geschäft über Merchandising beliebter Figuren als Spielzeug, auf Kleidung, Geschirr, Schreibwaren und Süßigkeitenverpackungen. Im Multimedia-Zeitalter findet man Manga-Figuren natürlich auch auf dem Video- und Computerspielmarkt, aber auch auf Faltblättern von Behörden, in Kontobüchern mancher Banken, in Gebrauchsanweisungen oder Zubereitungshinweisen für Instant-Gerichte. Selbst das Maskottchen zum 1.200 jährigen Jubiläum der altehrwürdigen Kaiserstadt Kyôto im Jahr 1994 bestand aus einem rundlichen kleinen Mädchen, das nun wirklich nicht gerade Assoziationen der Tradition einer verfeinerten Hofkultur hervorrufen mag.
Angesichts dieses enormen Aufgebots der Manga in Japan fragt man sich unwillkürlich, warum nicht auch hierzulande mehr davon zu finden ist als einige wenige Kinderserien im Fernsehen und einigen mehr oder weniger versteckten Manga-Heften in Comicläden? Ein Grund mag darin liegen, dass Comicalben in Deutschland mit vergleichsweise großem Aufwand produziert werden und daher auch entsprechend teuer sind. Die Zielgruppe beschränkt sich hier daher eher auf einige wenige Erwachsene und Jugendliche. In Japan dagegen bedient man sich eines monochromen Drucks auf holzhaltigem Papier. Die Manga sind daher so billig, dass sie als Wegwerfprodukt gelten. Doch umgekehrt spielen europäische Comics in Japan ebenfalls nur eine recht untergeordnete Rolle. Obwohl bekannte Figuren wie Mickey Mouse und Charly Brown auch in Japan als Werbeträger fungieren, werden die dazugehörigen Comics so gut wie gar nicht gelesen. Nur wenige ausländische Comics werden überhaupt übersetzt und erscheinen dann in geringer Auflage und sind in ihrer Aufmachung eher nicht auf die typische Manga-Leserschaft ausgerichtet. Unter anderem erscheint eine japanische Ausgabe von „Tim und Struppi“, die aber der Kinderliteratur zugerechnet wird.
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