Japanische Animationsfilme sind aus dem deutschen Fernsehen bekannt. Dragon Ball und Dragon Ball Z liefen schon in den 1980er und 1990er Jahren. Und so mancher und manche wird sich noch an Mila Superstar, Shin-chan und Conan den Detektiv erinnern. Japanischer Sagenschatz, hohe Kultur und Volkslegenden in diesen Serien? Hierbei eher Fehlanzeige. Die Filme von MIYAZAKI Hayao und seinem Studio Ghibli nehmen eine deutliche Sonderstellung ein, denn hier werden Elemente aus dem alten Japan wieder zum Leben erweckt. Spuk, Geister und andere Teile der japanischen Volkssagen bilden den Kern der Animationsfilme.
Wir alle wissen: Manga ist eine eigene Literaturform in Japan. Die fortlaufenden Geschichten werden vielfach in billigstem Druckverfahren hergestellt, wöchentlich oder monatlich herausgebracht und sind in verschiedenen Genres für verschiedene Bevölkerungsschichten und individuelle Interessen erhältlich. Vom Kindergartenkind über Schüler und Schülerinnen bis hin zu Hausfrauen und den berühmten gestressten Salaryman in ihren Einheitsanzügen lesen nahezu alle Manga. Die erfolgreichsten Serien werden oft verfilmt, doch nur ein Bruchteil davon schafft es auch ins deutsche Fernsehen. Serien wie Pokémon oder Digimon dagegen waren ursprünglich gar nicht im Manga-Format erhältlich, sondern wurden sofort als Merchandise-Serien produziert.
Mangazeichner und Animationskünstler gibt es viele in Japan, doch die meisten fristen das Dasein eines ausgebeuteten Künstlers. Aber es gibt immer mal wieder Ausnahmen. Studio Ghibli ist so eine Ausnahme. Eigentlich ein recht kleines Trickfilmstudio, haben es die Filme von Regisseur MIYAZAKI Hayao und TAKAHATA Isao (zwei der vier Gründer) zu internationalem Ruhm und Prestige geschafft. Warum? Weil die Filme von Studio Ghibli besonders sind. Es sind Filme, die sich in Sub-Genre wie „Apokalypse“, „Science Fiction“, „Melodram“ oder „Kriegsfilm“ einordnen lassen – und hierin durch eine besondere Poesie bezaubern. Rund um die eigentliche Geschichte herum schaffen es die Macher nämlich, das alte Japan mit exotischen Zutaten auferstehen zu lassen. Es ist das Japan der Geister, der Gestaltwandler, Spukgestalten und der geheimnisvollen Tempel und Schreine. Und ganz wie im alten Japan üblich, vermischen sich Realität und Mythologie mit Buddhismus und Shintô zu einer glaubwürdigen und sehr beeindruckenden Melange.
Zum Leben erweckt werden in verschiedenen Filmen die Marderhunde und Füchse, die in Japan als Gestaltwandler gelten. Unbelebte Gegenstände wie Regenschirme, Teekessel, Kürbisse und anderes alltägliches Zeug erwachen zum Leben und nehmen Rache an den Menschen, die nicht sorgsam genug mit diesen Dingen umgehen. Aber die Geister von Studio Ghibli sind nicht rundweg böse, sie können auch helfen – und natürlich geht es trotz der gespenstischen Atmosphäre am Ende immer gut aus. Wer sich ernsthaft für die Kultur Japans bis hinunter auf die Ebene von Volksglauben, Buddhismus und Shintô interessiert, dem seien die Filme der beiden Regisseure wärmstens empfohlen.
Einige Filme von MIYAZAKI Hayao wurden bereits auf Japanlink vorgestellt und sind auch außerhalb der Japan-Szene bekannt: Nausicaä, Chihiros Reise ins Zauberland, das wandelnde Schloss, mein Nachbar Totoro und Prinzessin Mononoke sind nur Beispiele der vielen magischen Filme von Studio Ghibli. Eins haben sie alle gemeinsam: sie regen zum Nachdenken an. Sie laden dazu ein, sich darüber Gedanken zu machen, wie der Mensch mit seiner Umwelt umgeht oder was Krieg eigentlich bedeutet. Eine weitere Besonderheit ist die liebevolle, detaillierte Gestaltung der Filmszenen. Im Gegensatz zu den meisten Anime-Filmen, die nahezu vollständig am Computer produziert werden, werden die Filme von Studio Ghibli noch größtenteils per Hand gezeichnet und anschließend digitalisiert.
Man merkt also, dass Studio Ghibli tatsächlich Dinge anders macht, als die meisten anderen Anime-Produktionsstudios. In ihren Filmen steckt sehr viel Herzblut und sie lassen sich auch nicht so schnell von der Meinung großer Hollywood-Bosse beeindrucken. Der Konflikt zwischen Studio Ghibli und dem Miramax-Boss Harvey Weinstein, wegen seiner Änderungswut auch „Harvey Scissorhands“ genannt, ist dafür beispielhaft. Für den US-Markt wollte Weinstein tiefgehende Änderungen an Prinzessin Mononoke vornehmen. Ghibli-Produzent SUZUKI Toshio lehnte dies strikt ab und ließ Weinstein ein Samurai-Schwert mit der Gravur „No cuts“ zukommen, um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen. Eins ist Studio Ghibli eben nicht: ein Fähnchen im Winde.