Im Land der aufgehenden Sonne spielt das Christentum so gut wie keine Rolle. Also auch nicht das Fest zu Jesus Geburt, oder?
Ramen-Suppe, Buddhismus und die Fußball-Variante kemari gehören zu den vielen kulturellen Errungenschaften, die irgendwann einmal auf die Inselgruppe importiert und über die Zeit so japanisiert wurden, dass sie sich heute nicht nur für Besucher des Landes so anfühlen, als seien es originär japanische Erfindungen. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Weihnachtsfest, dass hier deutlich bis zu seiner heutigen Form weiterentwickelt wurde. Natürlich kam dieses „Christmas Eve“ (クリスマス・イブ) anders als die zuvor genannten Kulturgüter nicht über China und Korea ins Land. Santa Claus, wie ihn der Coke-Konzern ersann, eroberte von den USA aus in den konsumfreuigen 1980er Jahren das fernöstliche Inselreich.
Weihnachten á la Disney
Entsprechend hat die japanisierte Version der Festtag etwas so viel mit dem bei uns gefeierten Weihnachten zu tun, wie die Disneyversion von Schneewitchen mit dem grimmschen Original. Doch, halt: Das, was heute mit viel glitzernden Kitsch gefeiert wird, ist bereits der zweite Siegeszug des größten christlichen Fests in Japan.
Klassische Festtage auf Schiffen importiert
Ab dem 16. Jahrhundert besuchten Handelschiffe aus Spanien und Portugal die japanischen Insel. An Bord hatten sie nicht nur Schusswaffen, welche die Art Krieg zu führen auch in Japan für immer ändern sollten, sondern auch römisch-katholische Missionare. Die machten ganze Arbeit und begeisterten schnell große Bevölkerungsanteile von der neuen, monotheistischen Lehre. Und so wurde bald auch hier in jedem Dezember die Geburt Christi gefeiert, wie es bereits in Europa üblich war. Doch so schnell und schwungvoll es hier mit dem Christentum auch los ging, so schnell wurde der Durchbruch der fremden Religion auch wieder gestoppt; Dem bakufu, der Regierung, missfiel, dass zum Christentum konvertierte Japaner auffallend häufig an Aufständen gegen das herrschende Shogunat beteiligt waren. Um den befürchteten gesellschaftlichen Flächenbrand zu stoppen, wurden ab 1639 Missionare des Landes verwiesen, der Handel mit dem Ausland bis auf einen kleinen Außenposten mit den Niederländern vor Nagasaki untersagt und das Christentum verboten. Die nachfolgende Verfolgung der Christen sorgte schließlich dafür, dass die weihnachtliche Tradition aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwand.
Party mit Freunden oder Kollegen
Die aktuelle, re-japanisierte Christmas-Variante US-amerikanischen Ursprungs entscheidet sich in einigen entscheidenden Punkten von dem Fest, wie wir es feiern. Anders als bei uns sind zum Beispiel die Weihnachtstage ganz normale Arbeitstage und mit dem 25.12. ist bereits alles vorbei. Während die Festtage bei uns in der Regel der Familie vorbehalten und auch „besinnlich“ definiert sind, feiert man sie in Japan gerne mit Freunden oder Arbeitskollegen als rauschende Party. Das Familienfest ist hier traditionell erst am Neujahrstag. Die Weihnachtspartys besucht man gerne mit dem bekleidet, was man schon Wochen zuvor allerorten kaufen konnte: Weihnachtsmannmasken, Wichtel- und Rentierkostüme, aber auch knappe Sexy Santa-Gewänder haben Konjunktur. Dem Anspruch als „Fest der Liebe“ folgend wird hierbei sehr gerne verkuppelt – so ein romantisches Fest soll bloß niemand als Single feiern müssen.
Oh, wie schön alles glitzert
Ist man bereits als Pärchen unterwegs, startet man gerne mit einem romantischen Spaziergang durch die Stadt in das Weihnachtsfest durch. Genau wie in den Vereinigten Staaten wird zu Weihnachten auch in Japan gerne gezeigt, was sich heutzutage im öffentlichen Raum alles mit Lichtern, Schmuck und passender Musik an weihnachtlicher Stimmung zaubern lässt. Überall blinkt und leuchtet es im Farbenspektrum von Eis-blau über Tannengrün bis Santa-rot.
Weihnachtstorte statt Gans
Während in Deutschland für viele die Gans oder Ente nebst Rotkohl und Klößen kulinarisch einfach dazu gehört, möchte man in Nippon zum Fest ungern auf eine Christmas Cake verzichten. Auf dem leichten Biscuitboden des kurisumasu kēki (クリスマス・ケーキ) türmen sich Massen von Sahnecreme, die von süßen Erdbeeren gekrönt werden. Diese Torte kann man zum Beispiel bei einem Restaurantbesuch genießen, der für viele Liebende gerne direkt auf den Spaziergang unter weihnachtlicher Beleuchtung folgt. Läuft der Abend gut, endet er gerade bei jungen Paaren ohne eigene Wohnung nicht selten in einem (Love) Hotel, das man sich wegen des großen Feiertagsangangs am besten schon Wochen vorher reserviert hat.
Traurige Tage für Geschenkefans
Noch im Restaurant können Frischverliebte ihre Zuneigung auch über kleine Geschenke bekunden. Der Brauch des intensiven Geschenkerauschs wird in Japan allerdings eher nicht zelebriert. Eine Ausnahme: Kinder können sich über Mitbringsel von Santa Claus freuen.
Fast Food als traditionelles Weihnachtsmahl
Kentucky Fried Chicken-Gründer „Colonel“ Harland David Sanders hatte im Hüftbereich, bei seiner Haarfarbe und der Barttracht eine gewisse Ähnlichkeit mit dem übergewichtigen Geschenkebringer aus dem hohen Norden. Doch dürfte sein zu dieser Zeit gerne mit einer roten Mütze ausgestattetes Konterfei nicht der einzige Grund dafür sein, warum sich an den Festtagen oft lange Schlangen vor den Filialen der Fast Food-Kette bilden. Durch eine breit angelegte Werbekampagne in den 1970er Jahren wurden viele Japaner dahingehend konditioniert, dass einer der großen Pappeimer mit Hähnchenteilen, Schokotorte und Salat ein typisches Weihnachtsessen ist, auf das man keinesfalls verzichten sollte.