Die japanischen Schulen zählen zu den Schwierigsten weltweit. In deutschen Medien wird oft von einer „Prüfungshölle“ an japanischen Schulen gesprochen. Tatsächlich sind die Anforderungen an Schüler in Japan viel höher als in Deutschland und den meisten europäischen Ländern. Die schulische Laufbahn beginnt in Japan bereits in der frühen Kindheit, ja, im Grunde manchmal sogar schon vor der Geburt!
Da die Arbeitslosenzahl in Japan seit dem Beginn der Wirtschaftskrise (1990) von etwas mehr als zwei Prozent auf 3,27 Prozent im Jahr 2016 angestiegen ist und die lebenslange Anstellung in japanischen Unternehmen nicht mehr für alle Berufseinsteiger gesichert ist, gewinnt die Ausbildung zunehmend an Bedeutung. Daher denken einige Eltern, dass ihr Kind möglichst gut gefördert werden sollte, damit es die Schule mit bestmöglichen Ergebnissen meistert. Das höchste Ziel ist ein Studium an den staatlichen Universitäten von Tôkyô (Tôdai) und Kyôto (Kyôdai), da die Absolventen dieser Universitäten eine zukunftssichere berufliche Laufbahn als elitäre Beamte und Staatsdiener vor sich haben. Die Immatrikulation an diesen Universitäten ist jedoch äußerst schwierig, da die Zulassungsprüfungen einen sehr hohen Schwierigkeitsgrad haben.
Einige Eltern hoffen jedoch, dass ihr Kind zu dieser Elite zählen wird und fördern es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Der Höhepunkt dieses Bildungswahns ist das Training von Babys, die noch im Mutterleib sind. Dabei wird dem Baby eine bestimmte Musik vorgespielt, so dass es die akustische Wahrnehmung schon im Mutterleib zu benutzen lernt. Zudem übt eine erfahrene Therapeutin Druck durch die Bauchdecke der Mutter auf bestimmte Regionen des Babykörpers aus, auf das diese Berührungen bestimmte Nerven reizen und die Entwicklung bestimmter Gehirnregionen fördern. Diese Therapie basiert auf biologischen Grundlagen: die Entwicklung von Nervenbahnen zwischen den einzelnen Gehirnzellen erfolgt in den ersten Lebensjahren besonders stark und nimmt mit dem Alter ab.
Auch Kleinkinder werden im Rahmen dieser Therapie behandelt. Dabei zeigt die Mutter oder eine Therapeutin dem Kind eine Vielzahl von Zeichen (oft Hiragana-Schriftzeichen) in einem Sekundentakt und spricht dabei die Laute aus. Hierdurch wird die visuelle und akustische Wahrnehmung geschult, die Zuordnung von visuellen und akustischen Daten miteinander verknüpft und die Gedächtnisleistung verbessert. Psychische Untersuchungen bei diesen Kindern zeigten, dass die Fähigkeit zum rationalen und logischen Denken gesteigert wird. So wurde bei manchen Kindern im Alter von 5 bis 10 Jahren sogar ein IQ von 110 Punkten gemessen, was selbst für einen Erwachsenen ein überdurchschnittlicher Wert ist (der Durchschnitt bei Erwachsenen liegt bei 100 Punkten). Kritiker sind jedoch der Meinung, dass die emotionale Entwicklung des Kindes durch diese therapeutischen Schulungsmaßnahmen gestört wird. In wie weit dies der Fall ist, wird man erst in den nächsten Jahrzehnten sehen.
Die klassische schulische Laufbahn beginnt bei den meisten Japanern mit dem Kindergarten. Mehr als zwei Drittel aller Japaner besuchen den Kindergarten. Dabei steht nicht das Erlernen der Hiragana und Katakana im Vordergrund, sondern die Entwicklung eines Zusammengehörigkeitsgefühls und die Einordnung in eine Gruppe.
In Japan ist der Besuch der Elementarschule (Shogakko) und der Mittelschule (Chugakko) Pflicht. Die Shogakko dauert 6 Jahre und kann mit der Grund- und Hauptschule in Deutschland verglichen werden. Die Chugakko schliesst an die Shogakko an und dauert drei Jahre. Das Lernniveau liegt etwas höher als bei der deutschen Realschule. Nach der erfolgreichen Abschlussprüfung der Chugakko gehen etwa 94 Prozent der japanischen Schüler auf die Oberschule (Kotogakko) oder die fachspezifische Oberschule (Senmon Kotogakko).
Die Kotogakko dauert etwa drei Jahre und vermittelt ein breites Spektrum an Wissen. Die Senmon Kotogakko dauert drei bis fünf Jahre und ist eher für den Erwerb von fachspezifischem Wissen gedacht. Sie soll zukünftige qualifizierte Facharbeiter ausbilden. Für viele japanische Schüler ist die Abschlussprüfung der Oberschule ein Alptraum. Der Schwierigkeitsgrad liegt oft deutlich über dem der Abiturprüfung in Deutschland und erfordert einen sehr großen Lernaufwand. Etwa zwei Drittel aller Japaner besuchen Privatschulen (Juku) während ihrer Freizeit und bereiten sich so auf die Abschlussprüfung der Mittel- und Oberschulen vor. Diese Privatschulen finden in der Regel abends statt. Daher ist es nicht selten, dass in manchen Klassenstufen die Schüler den ganzen Tag lang lernen und so gut wie keine Freizeit haben.
Nach der Oberschule gehen etwa 38 Prozent aller Japaner auf eine Hochschule. Zur Auswahl stehen die Daigaku und Tanki Daigaku. Die Tanki Daigaku ist eine Halbhochschule und dauert etwa zwei bis drei Jahre. Sie wird oft von Frauen besucht, da sie einen schnellen Berufseintritt ermöglicht. Dafür sind jedoch die Karriereaussichten mit der Tanki Daigaku schlechter, als mit der Daigaku. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass nach wie vor viele Japanerinnen nach der Hochzeit und der Geburt des ersten Kindes die Karriere aufgeben und gar nicht mehr oder nur in Teilzeit arbeiten.
Die Daigaku dauert in der Regel vier Jahre. Es gibt aber auch Ausnahmestudiengänge, an deren Ende ein Staatsexamen steht (z.B. bei Ärzten und Anwälten). Diese dauern deutlich länger. Ein anschließendes Master-Studium dauert in der Regel zwei weitere Jahre, der Doktorabschluss erfordert noch etwa drei Jahre. Nach dem Bestehen der Aufnahmeprüfung ist das vierjährige Studium für die meisten Japaner nur ein formeller Durchlauf, bei dem es darum geht, in den Pflichtvorlesungen zu erscheinen und Hausarbeiten abzuliefern. Ausnahmen bilden Master- und Doktorstudiengänge sowie das Studium an elitären Universitäten.