Der moderne Harakiri

Der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Krise und einem Anstieg der Selbstmordrate in Japan.

Der moderne Harakiri

Der Selbstmord hat in Japan eine sehr lange Tradition. Schon während der japanischen Feudalzeit, als die Shogun über das Land herrschten, hatte der Selbsmord eine wichtige Rolle in der japanischen Gesellschaft.

Ein Samurai, der seinen Herrscher nicht beschützen konnte oder durch eine andere Art und Weise seine Ehre verlor, beging Seppuku, bei uns landläufig bekannt unter der anderen Lesung der Begriffskanji: Harakiri. Bei Seppuku handelt es sich um eine rituelle Selbsttötung, bei der der Bauch mit einem Schwert (Katana) aufgeschlitzt wird. Der Samurai wollte durch seinen Freitod seine eigene Ehre, und damit auch die Ehre seiner Familie, bewahren. Für ihn wäre es schlimmer gewesen, ohne sein Gesicht weiterleben zu müssen, als in den Tod zu gehen.

Auch heute hat Japan im internationalen Vergleich mit anderen Industriestaaten eine überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate.
Ein Teil dieser Fälle ist auf die langanhaltende Wirtschaftskrise, die in Japan schon seit Ende der 80er herrscht, zurückführbar. Nach Aussagen der japanischen Polizei lag im Zeitraum von April 1999 bis März 2000 bei jedem fünften Selbstmord ein wirtschaftliches Motiv vor: finanzieller Bankrott, Schulden oder Arbeitsplatzverlust. In dem vorgenannten Zeitraum wurden etwa 33.000 Selbstmorde registriert, wobei etwa 6.600 auf wirtschaftliche Probleme zurückführbar sind. Die Selbstmordrate erreichte in den Jahren 1998 und 1999 ein Nachkriegsrekord.

Bei den meisten Selbsmordopfern handelt es sich um Männer. Bei diesen kann wiederum beobachtet werden, daß in der Altersgruppe der zwischen 40 und 60 Jährigen die Selbstmordrate überproportional zu der Altersstruktur der Bevölkerung hoch ist. Dies wird darauf zurückgeführt, dass in dieser Altersgruppe viele Beschäftigte im Rahmen der Sparmaßnahmen bei Unternehmen entlassen wurden. Ein anderer Teil von ihnen sind Selbstständige, deren Firma durch die geringe japanische Binnennachfrage bankrott ging.

Für einen Japaner, der die Firma als seine zweite Familie ansieht, bedeutet eine Entlassung nicht nur das berufliche Ende, sondern auch den Verlust eines der wichtigsten Lebensinhalte. Die traditionelle Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern ist in Japan auch heute noch weit verbreitet. In einer traditionellen japanischen Familie ist der Mann das Oberhaupt und der primäre Geldverdiener. Er ist berufstätig und kümmert sich um die finanzielle Absicherung der Familie. Dagegen hat die Frau traditionell in erster Linie die Aufgabe, die Kinder zu erziehen, sich um den Haushalt zu kümmern und die Haushaltskasse zu führen.
Der Mann sieht in dieser traditionellen Rollenverteilung seine Pflicht darin, die Familie finanziell abzusichern. Deshalb ist er der Meinung, dass durch den Verlust des Arbeitsplatzes die Schande in erster Linie bei ihm selbst liegt und dass der Selbstmord ein probater Weg sei, um die Familie vor seiner Schande zu bewahren. Auch heutzutage ist das soziale Ansehen einer Familie von hoher Bedeutung. Der Mann wird oft an seinem beruflichen Erfolg bewertet, während die Frau durch den Erfolg ihrer Kinder in der Schule an Ansehen gewinnen kann.

Interessant ist, dass der Höhepunkt der japanischen Selbstmordwelle im Jahr 1998 erreicht wurde. Genau zu dem Zeitpunkt, als auch die Asienkrise stattfand. In Folge dieser Krise gerieten mehrere japanische Banken und Konzerne in Zahlungsunfähigkeit. Einige gingen bankrott, andere konnte nur durch staatliche Unterstützung überleben. Trotz der japanischen Einstellung, Arbeitsplätze zu bewahren, stieg die Arbeitslosenquote rapide. Dies verdeutlicht den Zusammenhang zwischen der Selbstmordrate und der wirtschaftlichen Lage Japans.

Doch selbstverstädnlich begehen nicht alle Japaner beim Verlust des Arbeitsplatzes Selbstmord. Einige versuchen ihrer Familie und der Nachbarschaft vorzutäuschen, dass sie weiterhin zur Arbeit gehen würden. Sie verlassen jeden Morgen wie gewohnt das Haus, verbringen den Tag in Parks und Kneipen und kommen abends wieder nach Hause. Am Ende jedes Monats überweisen sie eine Summe von ihrem Sparkonto auf ihr Girokonto und versuchen diese als monatliches Einkommen zu tarnen. Andere schaffen die Anstellung in einem neuen Unternehmen und können dadurch Ihren Lebensunterhalt und Lebenssinn retten.

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